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Wie alles begann - ein toller Beitrag aus den Anfängen unseres Vereins

 

„Schlösser – Herrenhäuser – Gutsanlagen in privater Hand – Lust und Last mit einem unwiederbringlichen Erbe“ – über ein Symposium auf Schloss Kannawurf (27.9.2019).

Schloss Kannawurf am 27.09.2019

 

Danke, dass Sie nicht weggelaufen sind und sich für das Land verdient gemacht haben“ – mit starken Worte würdigte Ministerpräsident Bodo Ramelow die mehr als 50 „Eigentümer und Verrückten“, die an einem sonnigen Herbsttag seiner Einladung auf Schloss Kannawurf gefolgt waren, um über Frust und Freuden der privat getragenen Denkmalrettung zu diskutieren. 

Gemeinsam mit dem Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie hatte die Staatskanzlei jene eingeladen, die in den vergangenen dreißig Jahren ein herrschaftliches Gebäude in Thüringen kauften und sanierten oder auch erst mit den Sanierungsarbeiten beginnen. Etwa 300 Objekte dieser Denkmalgattung sind im Eigentum von Privatpersonen oder Vereinen – deutlich mehr Liegenschaften dieser Kategorie als der Freistaat selbst zu verwalten hat. Insofern initiierte Sabine Ortmann, Abteilungsleiterin im Landesamt, dieses naheliegende und doch bisher in dieser Form noch nicht stattgefundene Symposium, um die Akteure zu vernetzen. Denn trotz der regionalen Übersichtlichkeit des Freistaats kennen sich die meisten Guts- und Schlossbesitzer bisher nicht untereinander, sei es sie sind durch örtliche Gruppen, in der Deutschen Burgenvereinigung oder anderen Geschichtsvereinen organisiert.


Ministerpräsident Bodo Ramelow nahm viele Stunden an der Tagung auf Schloss Kannawurf teil

Doch zum Symposium waren freilich jene angereist, deren Projekte letztlich beeindruckende Erfolgsgeschichten darstellen: das Team um Roland Lange und den Verein Künstlerhaus Thüringen auf Schloss Kannawurf selbst, die aus einem Renaissance-Bau einen Ort der Begegnung mit zahlreichen Projekten machten, Schloss „Zur Fröhlichen Wiederkunft“ in Wolfersdorf, das Prof. Dr. Ulrich Schubert mit Familie saniert und für die Öffentlichkeit zugänglich macht, Schloss Hue de Grais mit seinen textilen Wandbespannungen ein Kulturdenkmal nationaler Bedeutung, das die Familien von Lucius/Werthern vom Landkreis zurückerhielten und in Stand setzten, Elisabeth von Tümpling, die mit ihrem Mann das alte Stammschloss Tümpling übernahm, Familie von Arnim in Bendeleben, Familie von Bismarck in Braunsroda, Schloss Bedheim in Südthüringen, das Architekt Florian Kirfel-Rühle als Spross der Familie von Rühle-Lilienstern in ununterbrochener Linie weiterbetreibt und zum baulichen wie soziokulturellen Nukleus im Grenzgebiet nach Bayern etablierte… Dies alles sind „local heros“, von denen eine nicht hoch genug zu schätzende Ausstrahlung für diverser Projekte und Initiativen auf dem Land ausgeht.

Einige der Anwesenden haben ihre Besitztümer nach der Wende zurückgekauft und damit zum Teil an eine jahrhundertelange Geschichte ihrer Familien angeknüpft. Den Großteil der Denkmalretter machen aber jene „Enthusiasten“ aus, die meistens eine viel zu große Bauaufgabe auf sich nehmen, weil ihnen Orte und historische Gebäude am Herzen liegen, der „Wille zur Burg“ stärker ist als das rationale Kalkulieren nachfolgender Kosten, Arbeitszeit und aufgeriebener Nerven. Nicht jeder führte in den vergangenen Jahrzehnten sein hehres Denkmalprojekt zu Ende: Missgunst und Neid, Verstimmung mit der Anwohnerschaft, Probleme mit Brandschutz und Behörden oder Geldmangel ließen manche Luftschlösser zerplatzen – doch die Immobilien blieben und suchen weiterhin überzeugte Retter. 


Schloss Kannawurf – die große Landespolitik zu Gast

Ministerpräsident Bodo Ramelow hat schon oft bewiesen, dass er ein aufrichtiges Interesse an den Baudenkmalen Thüringens und den sie belebenden Initiativen besitzt. Er weiß, dass gerade im ländlichen Gebiet hier gesellschaftliche Basisarbeit geschieht, immer mit Aufwand, im Ehrenamt, oft nicht kostendeckend, dass hier Kultur vermittelt, Begegnung gestiftet und Heimat im besten Sinne erlebbar wird.

Eine Burg oder ein Schloss, selbst ein überschaubares Herrenhaus, war einst immer an Landbesitz gebunden, dessen Erträge das Gut finanzierten. Nur wenige betreiben heute ihr Gebäude mit landwirtschaftlichem Anschluss und so sind die finanziellen Mittel über die berufliche Tätigkeit, kreative Ideen und Fördermittel zu generieren. Nicht immer halten schöne Konzepte den finanziellen Realitäten stand, wie Prof. Dr. Schubert auf witzige wie zugleich schonungslos offene Art darlegte: „Was etwas bringt sind Bustouristen oder viele Hochzeiten, möglichst hohe Frequenz, möglichst billig, möglichst anspruchslos“. Dass stets ein großer Spannungsbogen zwischen Idee und Realität, zwischen Nutzung und Erhalt ausgehalten werden muss, führte auch der linke Ministerpräsident ins Feld und ließ an seiner Anerkennung für die Denkmalaktivisten keinen Zweifel. Seine Worte verwunderten freilich den einen oder anderen, gerade westdeutsche „Rückkehrer“, die eine solche Initiative für private Denkmaleigentümer schon in den vergangenen Jahrzehnten von diversen CDU-Regierungen erwartet hätten. 

Landeskonservator Holger Reinhardt trug einige theoretische Überlegungen und Erfahrungen mit der besonderen Denkmalgattung der Herrenhäuser und Schlösser vor, denn während viele Bauformen auch heute noch errichtet werden, ist die Bauaufgabe des „Gutshauses/Schlosses“ seit dem Untergang der feudalen Welt eindeutig als eine historische einzuordnen. Während immer noch Villen, Kirchen oder Brücken gebaut werden, gibt es indes keine modernen Schloss- oder Gutsanlagen im Freistaat.

Bodo Ramelow beschrieb die herrschaftlichen Bauten daher auch als Symbol für „Anspruch, Macht und Unterdrückung“, nicht ohne sie im Anschluss als bauliche Speicher von „Fähigkeiten, Kraft, wissenden Menschen“ in den Stand architektonischer Kronzeugen der Thüringischen Landesgeschichte zu heben. Er freue sich über jeden, der sich für den Kulturerhalt einsetze, denn es sei eben „nicht banal, wie man mit diesen Relikten umgeht“.

Ramelow sprach von den Brüchen des 20. Jahrhunderts, von den „mehrfach unterbrochenen Erblinien“, von missbrauchten Schlössern, absurden Plänen, wie jene der SED auf der Leuchtenburg ein Internierungslager einzurichten, nannte mit Friedrichswerth und Reinhardsbrunn zwei Sorgenkinder der Thüringer Denkmallandschaft und einige eindrückliche Projekte wie das Schloss Tonndorf, wo eine Lebensgemeinschaft vieler Familien ein Baudenkmal belebt, den Hofladen Mönchpfiffel, der die regionale Landwirtschaft ankurbelt und viele Schlösser, die mit einer starken Profilierung, sei dies auf Whisky, Honig oder Tierzucht, überregionale Aufmerksamkeit erlangen. 


Das Thüringische Landesamt hatte gemeinsam mit der Staatskanzlei eingeladen

Diese positive Zustandsbeschreibung teilte auch Sabine Ortmann vom Landesamt, die ebenso wie der Ministerpräsident in letzter Zeit ein nicht gekanntes Interesse an Herrenhäusern und Schlössern feststellt. In den turbulenten Jahren nach der Wiedervereinigung hätte der Fokus oft auf anderen Objekten gelegen, vielmals hätten „Glücksritter“ Denkmalen mehr geschadet als geholfen und – besonders erschreckend – auch nach der Wiedervereinigung seien Herrenhäuser und Schlösser abgerissen worden. Der Landeskonservator nannte als Negativbeispiel das Marschalksche Schloss in Walldorf (Landkreis Schmalkalden-Meiningen), das 2013 vom Landkreis entgegen Denkmalrecht abgerissen wurde. Ein historisch gewachsener Bau mit einer wertvollen Stuckdecke und ein Aufenthaltsort des jungen Friedrich Schiller sei damit unwiderruflich verloren, mahnte der Landeskonservator. Wo einst kommunistische Ideologie Schlösser zu Fall brachte, ist es heute ein Desinteresse und letztlich eine Geschichtsvergessenheit, die so etwas ermöglicht, wie es ebenso in dem im Werratal gelegenen Ort Barchfeld zu sehen ist: dort kämpft ein Freundeskreis gemeinsam mit dem Bürgermeister um den Erhalt der beiden Schlossruinen derer von Stein-Liebenstein-Barchfeld und Hessen-Philippsthal-Barchfeld – und das gegen ein eigens initiiertes Bürgerbegehren, das sich gegen Inventionen in die Schlösser aussprach. Dort, wo Schlösser abgerissen wurden, spüre man nach wie vor einen Phantomschmerz, warnte Landeskonservator Holger Reinhardt. Doch, das war einhellige Meinung, befinde man sich nun in der „Post-Nachwendezeit“, viele Kämpfe seien ausgetragen, alte Anlagen werden allerorts höher geschätzt als noch vor zwanzig Jahren.

Der während des Symposiums vorgestellte Verlustkatalog macht daher betroffen und traurig – über die stürmische Denkmalbeseitigung durch den 1947 erlassenen Befehl Nr. 209 der Sowjetischen Militäradministration und noch mehr wegen der zu unseren Lebzeiten nicht verhinderten Abrisse im Freistaat, die – weitet man die Perspektive von Herrenhäusern/Schlössern auf alle Denkmale – nach wie vor in erheblichem Umfang geschieht. (Thomas Bienert: „Aus den Augen, aus dem Sinn?“, Jubiläumsband Nr. 50 der Neuen Folge der Arbeitshefte des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie – Bau- und Kunstdenkmalpflege, 20 Euro).


Die neue Publikation des Landesamtes – wichtig und traurig stimmend

So schlägt an diesem Tag auf Schloss Kannawurf in eines jeden Denkmalschützers Brust neben dem enttäuschten Herzen über unwiderrufliche Verluste unserer Baukultur eben doch auch jenes freudige über den Bewusstseinswandel, die positiven Worte und auch Versprechen. Mit Hilfe der Staatskanzlei und des Landesamtes werden die privaten Denkmaleigentümer nun eine Interessensverbindung in der Rechtsform eines Vereins gründen, der mit geschlossener Stimme Anliegen und Bedürfnisse der Eigentümer solcher herausfordernder Immobilien gegenüber der Politik vertreten kann, sich untereinander in Fragen der Steuern, Versicherung, Bürokratie oder touristischen Vermarktung beraten soll. Der anwesende Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff sagte dem Verein sogleich Unterstützung zu. Dass dies für alle einen deutlichen Vorteil bringen kann, beweisen andere Regionen. In Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es ähnliche Verbände, ganz zu schweigen vom englischen National Trust, der die vielgestaltige Herrenhauskultur Großbritanniens schützt und vermittelt und zu einem hauptsächlichen touristischen Faktor des Landes machte.


Eindrucksvoller Renaissancebau und eindrucksvolles Engagement der Retter: Schloss Kannawurf

Sabine Ortmann öffnete schließlich den Horizont der Tagung, als sie bemängelte, dass heute sehr wenig an die Zukunft gedacht werde, dass die oft zitierte „Bauinschrift“ Non mihi, sed posteros (Nicht für mich, sondern für die Nachkommen) ruhig wieder präsenter werden könnte, denn wenige Bautypen stehen deutlicher für Dauer und Nachhaltigkeit als die alten Gutsanlagen, die von Generationen aufgebaut, erhalten und entwickelt wurden, Heimat waren und aufs Engste in die sie umgebende Landschaft und Kultur eingebunden waren. Stets waren es kleine Zentren, in den Zivilisation geschaffen und diese verteidigt wurde, menschliches Wissen, Lebenskultur und Stil auf ein hohes Niveau geführt wurden – und dies waren jene Herrenhäuser, Gutshäuser und Schlösser, die genau deshalb ihren Zauber besitzen. So ist sicherlich auch der Gedanke eines Teilnehmers zu verstehen, der meinte, die neue Losung müsse „castles for future“ sein: ausgehend von der Bausubstanz und dem darin gespeicherten Wissen um Herkunft und Existenz die Zukunft zu gestalten und nachfolgenden Generationen diese besonderen Orte zu übergeben, und zwar nicht nur als romantische Träumerei, sondern als in die Gesellschaft eingebundene Laboratorien der Zukunft und des schönen Lebens.

Zum Autor: Robert Eberhardt (geboren 1987 in Schmalkalden) ist Vorsitzender der 2010 gegründeten Gesellschaft Kulturerbe Thüringen e.V., die als Förderverein die Sanierung und Belebung des Rußwurmschen Herrenhauses Breitungen/Werra und der Todenwarthschen Kemenate in Schmalkalden unterstützt. Der studierte Kunsthistoriker ist Verleger des Wolff Verlags.